Die Bewohner der Carnegie House-Kooperative im Herzen der Billionaires’ Row in Manhattan stehen vor drastischen Mietsteigerungen – in einigen Fällen bis zu 450 %. Diese Entwicklung hat nicht nur rechtliche Schritte ausgelöst, sondern auch einen öffentlichen Aufschrei und eine breite Debatte über Wohnrechte in einem der teuersten Immobilienmärkte der Welt entfacht.
Ein historisches Gebäude mit sozialem Charakter
Das 1962 errichtete Carnegie House liegt an der 100 West 57th Street, zwischen der Sixth und Seventh Avenue, in unmittelbarer Nähe des Central Parks. Über Jahrzehnte hinweg bot das 21-stöckige Gebäude mit rund 320 Wohneinheiten ein Zuhause für Lehrer, Pflegekräfte, Rentner und Künstler – Menschen aus der Mittelschicht, die das kulturelle und soziale Leben New Yorks mitgeprägt haben.
Umgeben von Superluxus-Wolkenkratzern wie One57, Central Park Tower und 111 West 57th Street, in denen Penthouse-Wohnungen für über 100 Millionen Euro verkauft werden, war Carnegie House lange Zeit ein Ort bezahlbaren Wohnraums – eine Seltenheit in dieser Lage.
Billionaires’ Row: Symbol für Ungleichheit
Die sogenannte Billionaires’ Row – ein Abschnitt der 57th Street zwischen Fifth und Eighth Avenue – steht sinnbildlich für die wachsende soziale Kluft in den USA. Luxusimmobilien, die oft von internationalen Milliardären als Investitionsobjekte gekauft werden und selten bewohnt sind, dominieren die Skyline.
Carnegie House bildete in dieser Umgebung ein soziales Gegengewicht – bis ein Eigentümerwechsel die Situation drastisch veränderte.
Eigentümerwechsel mit Folgen
Im Jahr 2023 übernahm eine Investmentgruppe, die mit dem Entwickler Alchemy Properties verbunden ist, die Mehrheitsanteile an der Kooperative. Kurz darauf begannen umfangreiche Überprüfungen von Mietverträgen, insbesondere jener mit langfristigen oder preisgünstigen Konditionen.
Viele Bewohner waren schockiert, als sie Mitteilungen erhielten, dass ihre Miete um 300 % bis 450 % steigen sollte. Eine Wohnung, die bisher für 2.000 $ (etwa 1.850 €) im Monat vermietet wurde, sollte künftig 9.000 $ (ca. 8.350 €) kosten – oder die Mieter müssten ausziehen.
Widerstand der Bewohner
Die drastischen Mieterhöhungen stießen auf sofortige Gegenwehr. Eine Mieterinitiative wurde gegründet, Anwälte eingeschaltet und eine Sammelklage eingereicht. Viele der Betroffenen sind ältere Menschen mit festem Einkommen – für sie käme ein Auszug einer existenziellen Bedrohung gleich.
„Wir haben dieses Viertel mit aufgebaut, und jetzt will man uns hier rausdrängen, als wären wir nichts wert“, sagt eine 74-jährige pensionierte Lehrerin, die seit mehr als 30 Jahren im Gebäude wohnt.
Klagen und politische Reaktionen
Die Anwälte der Mieter argumentieren, dass die Mieterhöhungen gegen das Mietstabilisierungsgesetz des Staates New York verstoßen. Besonders problematisch sei, dass langjährige oder vererbte Mietverträge ohne Rücksicht auf geltendes Mietrecht aufgelöst oder verändert werden sollen.
Auch Mitglieder des Stadtrats und Wohnrechtsaktivisten haben sich eingeschaltet. Es werden Untersuchungen und ein temporärer Stopp der Erhöhungen gefordert.
Argumente der Investoren
Die neuen Eigentümer begründen die Mieterhöhungen mit umfangreichem Sanierungsbedarf. Geplant seien Modernisierungen an Aufzügen, der Haustechnik sowie an der Fassade – mit dem Ziel, das Gebäude „an die Realität der Umgebung anzupassen“.
„Dies ist eine der wertvollsten Straßen der Welt“, so ein Sprecher des Eigentümers. „Wir bringen das Carnegie House auf das Niveau seines Standorts.“
Ein größerer Trend in Manhattan
Der Fall Carnegie House steht exemplarisch für eine Entwicklung in ganz Manhattan: Investoren kaufen ältere Gebäude mit regulierten Mietverträgen auf und versuchen, diese aufzulösen oder deutlich zu verteuern. Ziel ist es, die Objekte auf das Mietpreisniveau der Umgebung zu heben und deutlich höhere Renditen zu erzielen.
Laut Urban Justice Center wurden in den letzten drei Jahren rund 18 % der Mietverhältnisse in Midtown entweder nicht verlängert oder durch rechtlichen Druck beendet.
Rendite vs. Risiko
Für Investoren bedeutet diese Strategie kurzzeitig hohe Gewinne. Doch die Risiken – juristisch, öffentlich und politisch – steigen. Besonders Pensionsfonds und ESG-orientierte Kapitalgeber meiden zunehmend Projekte, die mit Massenverdrängung einhergehen.
Der Druck auf verantwortungsvolle Geldgeber wächst, sich nicht an Maßnahmen zu beteiligen, die sozial destabilisieren.
Reformbedarf erkannt
Der Fall Carnegie House hat die Diskussion um Mieterschutz in New York neu entfacht. Forderungen nach strengeren Mietgesetzen, Transparenz bei Eigentümerwechseln und einer Regulierung des Einstiegs von Private-Equity-Firmen in den Wohnungsmarkt nehmen zu.
Experten warnen: Ohne neue Maßnahmen droht Manhattan seine soziale Vielfalt endgültig zu verlieren.
Fazit
Die 450-prozentige Mieterhöhung im Carnegie House zeigt auf dramatische Weise, wie groß die Kluft zwischen Wohnraum als Anlageobjekt und Wohnraum als Grundrecht geworden ist. Während sich die Billionaires’ Row immer weiter nach oben schraubt, droht ein Stück urbaner Realität verdrängt zu werden.
Die Zukunft des Carnegie House wird davon abhängen, wie die Gerichte entscheiden – und ob die Stadt den Mut hat, ihre Bewohner vor dem Druck des Kapitals zu schützen.