Als die Richter in Luxemburg im Dezember ihre Entscheidung über das sogenannte Ghettogesetz Dänemarks veröffentlichten, sezierten sie keine abstrakte juristische Formel. Es ging um etwas Konkretes: Mietverträge, monatliche Belastungen, Wohnstabilität und die Frage, ob Tausende Familien in Kopenhagen weiterhin ein Dach über dem Kopf bezahlen können.
Am 18. Dezember 2025 fällte der Gerichtshof der Europäischen Union ein Vorabentscheidungsurteil, wonach die dänische Politik, die den Abbau von Sozialwohnungen in Bezirken mit einer „Mehrheit nichtwestlicher Bewohner“ verlangt, eine unzulässige ethnische Diskriminierung darstellen kann. Das letzte Wort hat das Östliche Berufungsgericht Dänemarks, doch die Auslegung des EuGH ist bindend – und sie untergräbt das rechtliche Fundament der dänischen Strategie „keine Ghettos bis 2030“.
Wie das dänische Gesetz über „parallele Gesellschaften“ funktionierte
2018 verabschiedete Dänemark ein Gesetzespaket, das sogenannte parallele Gesellschaften ins Visier nahm. Offizielle Dokumente sprachen von „Transformationsgebieten“, doch in der politischen Debatte setzte sich schnell der Begriff Ghettogesetz durch. Bezirke wurden gelistet, wenn sie mehrere Kriterien gleichzeitig erfüllten: hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen, erhöhte Kriminalität, schwache Bildungsergebnisse – und vor allem mehr als 50 Prozent Bewohner „nichtwestlicher Herkunft“.
Für Bezirke auf dieser Liste verlangte der Staat, dass der Anteil an Sozialwohnungen bis 2030 auf maximal 40 Prozent reduziert wird. Gemeinden konnten dies durch Abriss, Verkauf von Sozialwohnungsblöcken an private Investoren oder Umwandlung in höherpreisige Einheiten erreichen. In der Praxis wurden Menschen verdrängt, Gebäude abgerissen oder verkauft und ein bedeutender Teil des sozialen Wohnungsbestands in den größten Städten in Entwicklungsprojekte gedrückt.
Das Ausmaß war erheblich. Tausende Bewohner in Kopenhagen, Aarhus und Odense waren direkt betroffen. In Mjølnerparken in Nørrebro – dem bekanntesten Beispiel – wurden bereits mehr als 1.000 Bewohner umgesiedelt oder stehen vor dem Verlust ihrer Wohnungen.
Was der Europäische Gerichtshof sagte
Der Gerichtshof prüfte das dänische Gesetz anhand der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse (2000/43/EG), die Diskriminierung beim Zugang zu Wohnraum verbietet. Drei Befunde stachen hervor.
Erstens ist die Einstufung von Bewohnern als „westlich“ und „nichtwestlich“ kein neutraler soziologischer Begriff, sondern ein Platzhalter für ethnische Herkunft. Wenn eine Wohnungspolitik Gebiete mit einer Mehrheit „nichtwestlicher“ Bewohner gezielt abriss- und umzugsintensiven Maßnahmen unterwirft, fällt sie eindeutig in den Anwendungsbereich der Richtlinie.
Zweitens führt die Verpflichtung, den Anteil von Sozialwohnungen in diesen Bezirken auf maximal 40 Prozent bis 2030 zu reduzieren, zu schlechteren Bedingungen speziell für jene Mieter, die zufällig im „falschen“ demografischen Bezirk leben – selbst wenn Einkommen, Beschäftigung oder Verhalten identisch sind mit Mietern in anderen einkommensschwachen Gebieten. Das sieht nach direkter oder zumindest indirekter Diskriminierung aus.
Drittens erkannte das Gericht an, dass die Bekämpfung von Segregation oder Kriminalität ein legitimes politisches Ziel darstellen kann. Doch Legitimität rechtfertigt keine Maßnahmen, die ethnischen Minderheiten systematisch schaden, wenn weniger zerstörerische Instrumente möglich wären. Nun müssen dänische Richter prüfen, ob Abriss, Zwangsumsiedlungen und Vermögensverkäufe tatsächlich die einzigen gangbaren Mittel waren.
Die Kosten der Umsiedlung in Kopenhagen
Auf dem heutigen Mietmarkt in Kopenhagen kostet ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft 4.000–6.000 dänische Kronen pro Monat, was bei 1 DKK ≈ 0,1337 € etwa 535–800 € entspricht. Ein kleines Studio oder eine Einzimmerwohnung liegt bei 8.000–10.000 DKK, also 1.070–1.340 € monatlich. Zwei- oder Dreizimmerwohnungen kosten typischerweise 13.000–15.000 DKK, also 1.740–2.005 €, während größere Wohnungen bei 16.000 DKK beginnen und 2.130 € pro Monat überschreiten.
Im Vergleich dazu schätzen Analysten, dass eine Standard-Zweizimmerwohnung im Zentrum von Kopenhagen inklusive Nebenkosten 18.000–25.000 DKK erreicht – etwa 2.410–3.340 €. In Städten wie Odense, Aalborg oder Aarhus sind zwei Zimmer leicht bei 1.150 € pro Monat, was gemessen an lokalen Löhnen alles andere als trivial ist.
Sozialwohnungen in Gebieten wie Mjølnerparken boten traditionell niedrigere Mieten und mehr vertragliche Sicherheit als der private Markt. Die Unterschiede variieren je nach Wohnungsgenossenschaft, doch die Lücke zwischen einer früheren Sozialmiete und einer neuen privaten Miete nach Sanierung kann mehrere tausend Kronen betragen – 300–500 € pro Monat für eine Familie. Das können viele Haushalte schlicht nicht kompensieren.
Wenn der Staat den Abbau von Sozialwohnungen anordnet, jagen Familien entweder knappen bezahlbaren Wohnungen in einer überhitzten Stadt hinterher oder ziehen in Randgebiete, wo Wohnen billiger ist, aber Arbeitsplätze und Dienste schlechter zugänglich sind.
Anti-Ghetto-Stadtplanung und die Ökonomie des Bodens
Für dänische Entscheidungsträger war die Logik einfach: Dänemark solle eine „einheitliche Gesellschaft“ sein, und Stadtteile mit einkommensschwachen Migrantenkonzentrationen müssten aufgebrochen werden. Die Strategie „keine Ghettos bis 2030“ verlangte ausdrücklich Umsiedlungen und den Verkauf kommunaler Wohnungsbestände an private Entwickler, die Zugang zu innenstädtischem Bauland erhielten.
Für Investoren waren die Anreize klar. Abriss und Erneuerung im Zentrum Kopenhagens erschließen Grundstücke, auf denen Familienmieten über 2.000 € pro Monat erreichen können – in einem strukturell verknappten Markt. Doch das Urteil des EuGH wirft plötzlich die Frage auf: Beruhten manche dieser Geschäftsmodelle auf nun als diskriminierend betrachteten Rechtsgrundlagen?
Juristische Berater warnen bereits, dass die Haftung nicht allein beim Staat liegen könnte, falls dänische Gerichte die Bestimmungen kippen. Kommunen und private Partner, die an Wohnungsverkäufen oder Sanierungen beteiligt waren, könnten mit Ansprüchen konfrontiert werden – von Entschädigungen für verdrängte Familien bis hin zu Anfechtungen vergangener Vermögensverkäufe.
Was das für Europa bedeutet
Dänemark ist nicht allein. Die Niederlande setzen seit mehr als einem Jahrzehnt die Rotterdamwet durch – ein Gesetz, das Haushalten mit niedrigem Einkommen, oft Migranten, die Ansiedlung in bestimmten Bezirken untersagt. Frankreich und Belgien experimentieren ebenfalls mit sozialer Mischung in Vororten, während Schweden über Dispersionspolitik für migrantengeprägte Bezirke debattiert.
Der EuGH hat nun eine schärfere Grenze gezogen. Die Nutzung von Einkommen, Beschäftigung oder Kriminalstatistiken als Grundlage einer gezielten Wohnungspolitik kann verhältnismäßig sein, wenn sie gut begründet wird. Die Nutzung von Ethnizität – direkt oder über offensichtliche Proxy-Indikatoren – birgt nun ein deutlich höheres Risiko, mit EU-Recht unvereinbar zu sein.
Regierungen müssen daher sowohl ihre Rhetorik als auch ihre Berechnungen anpassen. Jede Verpflichtung zur Senkung des Sozialwohnungsanteils, jeder Entwicklungsplan in migrantendichten Gebieten erfordert nun einen Nichtdiskriminierungstest. Und die Ökonomie des Mietmarkts – Mietniveaus, Einkommensgrenzen, Ausgleichsmechanismen – wird ebenso wichtig wie politische Ziele.
Fazit
Das dänische Ghettogesetz zeigt, dass Wohnungspolitik längst nicht mehr nur Bautätigkeit bedeutet. Sie ist zu einem Kampf darüber geworden, wer in der Stadt bleiben darf – und zu welchem Preis –, wenn Kopenhagener Mieten von 500–800 € für ein Einzelzimmer bis 3.000 € oder mehr für Familienwohnungen im Zentrum reichen und Sozialwohnungen oft die einzige Barriere gegen Ausschluss einkommensschwacher Haushalte darstellen.
Das Vorabentscheidungsurteil stellt keine abgerissenen Blöcke wieder her und bringt keine verdrängten Mieter automatisch zurück. Aber es bepreist politische Entscheidungen, die ethnische Kriterien unter bürokratischer Sprache zu verstecken versuchten. Jede europäische Regierung, die Bezirke über Zwangsabbau von Sozialwohnungen „ausbalancieren“ will, muss künftig nicht nur Quadratmeter kalkulieren, sondern auch Rechtsrisiken, Entschädigungspotenzial und die langfristigen sozialen Kosten für Bewohner, die bereits auf einigen der teuersten Wohnungsmärkte Europas kämpfen.
