Wohnungen als Galerien: Wenn Kunst die Wände ersetzt

by Victoria Garcia
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Art Replaces Walls in Gallery-Style Apartments

Das moderne Wohnen geht längst über Funktionalität hinaus – es wird zum Spiegel der Persönlichkeit. Einer der auffälligsten Trends im zeitgenössischen Interior Design ist die Umwandlung von Wohnungen in echte Kunsträume. Gemälde, Skulpturen und Installationen schmücken hier nicht nur die Wände – sie sind die Wände. Kunst wird zu einem architektonischen Element, das die Raumaufteilung, den Ausdruck und die Atmosphäre prägt. Doch was steckt hinter diesem Trend, und welche Auswirkungen hat er auf Design, Nutzung und das emotionale Erleben des Wohnens?

Kunst als strukturelles Element

Die klassische Trennung zwischen Innenarchitektur und Kunst löst sich zunehmend auf. Eigentümer, Sammler und selbst Mieter integrieren Kunstwerke in die bauliche Struktur ihrer Wohnungen. Großformatige Gemälde, Wandinstallationen oder digitale Displays ersetzen Trennwände oder definieren ganze Bereiche. So verwandelt sich die Wohnung in eine lebendige Ausstellung, in der jede Ecke kulturelle oder ästhetische Bedeutung erhält.

Die Wiener Designerin Elisabeth Spiegel erklärt:

„Heute wollen Kunden nicht nur eine schöne Küche oder ein modernes Bad – sie wünschen sich einen Raum, der ihre Geschichte durch Bilder erzählt. Für manche sind das afrikanische Keramiken, für andere eine Skulptur, die einen Kleiderschrank verbirgt.“

Warum dieser Trend immer beliebter wird

  1. Individuelle Ausdruckskraft – In einer standardisierten Welt bietet Kunst die Möglichkeit, ein einzigartiges und persönliches Wohnumfeld zu schaffen.
  2. Visuelle Tiefe – Inmitten visueller Reizüberflutung im öffentlichen Raum sehnen sich viele zu Hause nach inspirierenden, bedeutungsvollen Bildern.
  3. Kunst als Wertanlage – Kunstwerke werden zunehmend als Investitionsobjekte betrachtet.
  4. Integration digitaler Medien – LED-Bildschirme, Projektionen und NFTs ermöglichen es, die „Wände“ jederzeit zu verändern.

Beispiele für Kunstintegration im Wohnbereich

  • Gemälde als Raumteiler – In der Pariser Wohnung des Galeristen Olivier Berger trennt ein 3×2 Meter großes Gemälde auf einem Schwenkrahmen das Schlafzimmer vom Wohnzimmer. Es ersetzt eine Wand und prägt die Stimmung des gesamten Interieurs.
  • Skulpturen als Architektur – In einem Berliner Loft definieren sechs Betonskulpturen eines lokalen Künstlers den Eingangsbereich.
  • Digitale Kunstwände – In London gestaltete Designer Jason Miller eine Wohnung mit einer 8K-Bildschirmwand, die dauerhaft wechselnde digitale Kunstwerke im NFT-Format zeigt.

Zwischen Ästhetik und Funktionalität

Wenn Kunst Wände ersetzt, muss das Design nicht nur schön, sondern auch praktisch sein. Aspekte wie Akustik, Beleuchtung, Sicherheit und Alltagstauglichkeit spielen eine zentrale Rolle. Eine Glaskunstinstallation zwischen Schlafzimmer und Bad sieht beeindruckend aus, erfordert aber eine sorgfältige Lichtplanung. Ein Gemälde, das eine Tür ersetzt, sollte auch Schallschutz bieten.

Der Mailänder Architekt Fabio Conti sagt dazu:

„Eine Wohnung, die wie eine Galerie funktioniert, ist eine Herausforderung. Es geht nicht darum, ein Monet über das Sofa zu hängen, sondern darum, wie das Licht, die Farben und die Bewegung der Bewohner im Raum zusammenspielen.“

Psychologie des Wohnens mit Kunst

Kunst in Wohnräumen beeinflusst unsere Wahrnehmung auf mehreren Ebenen. Sie verleiht Räumen Tiefe, Bedeutung und emotionale Qualität. Studien zeigen, dass Kunst das Wohlbefinden steigert, Stress reduziert und die Kreativität fördert.

Laut einer Studie des Kopenhagener Instituts für Stadtforschung (2023) berichten Bewohner von Wohnungen mit wechselnden Kunstinstallationen 22 % häufiger über ein gesteigertes Gefühl von Zufriedenheit und Geborgenheit im eigenen Zuhause.

Wirtschaftliche Aspekte und Marktwert

Wohnungen, in denen Kunst integraler Bestandteil der Raumgestaltung ist, erzielen oft höhere Verkaufspreise oder Mieten. Laut dem Bericht der französischen Immobilienagentur L’Habitat d’Art bringen solche Objekte im Schnitt 15–20 % mehr Erlös durch ihre Einzigartigkeit und den hohen visuellen Reiz.

In Barcelona wurde beispielsweise eine 90 m² große Wohnung mit Installationen katalanischer Künstler für 690.000 € verkauft – das sind 120.000 € mehr als für eine vergleichbare Wohnung im selben Gebäude ohne künstlerische Gestaltung.

Praktische Tipps für Eigentümer

  1. Mit einem Bereich starten – Beginnen Sie in Flur oder Küche, bevor Sie die ganze Wohnung neu denken.
  2. Zusammenarbeit mit Künstlern – Junge Talente bieten oft erschwingliche und individuelle Kunstwerke.
  3. Auf Licht und Klima achten – Kunst braucht passende Beleuchtung und Schutz vor Feuchtigkeit.
  4. Digitale Lösungen nutzen – Bildschirme und Projektionen erlauben Kunst ohne bauliche Eingriffe.
  5. Dokumentation nicht vergessen – Wenn Kunst Bestandteil der Baukonstruktion ist, sollte sie im Bauplan und in juristischen Unterlagen berücksichtigt werden.

Interview: Die Sicht einer Sammlerin

Anna Levenson, Eigentümerin einer Galerie-Wohnung in Tel Aviv:

„Ich hatte genug von weißen Wänden. Ich wollte in einer Ausstellung leben, die mich täglich inspiriert. Wir haben keinen Fernseher – stattdessen hängt ein großes Werk eines lokalen Künstlers zwischen Küche und Wohnzimmer. Es ist nicht nur schön, sondern auch funktional und drückt unsere Werte aus.“

Ein neuer Wohnstandard in der Stadt

Das Konzept der Galerie-Wohnung etabliert sich zunehmend in Städten wie Berlin, Zürich oder Seoul. Entwickler integrieren spezielle Nischen, Museumsbeleuchtung oder rotierende Trennwände bereits in die Bauplanung. Im Premiumsegment wird Kunst zur Verkaufsstrategie.

In Lissabon wirbt die Agentur Art Living Portugal mit „lebendiger Kunst“: Wohnungen werden mit wechselnden Kunstwerken lokaler Künstler ausgestattet, sogar im Abo-Modell mit jährlicher Rotation.

Fazit

Eine Wohnung zur Galerie zu machen, ist kein kurzlebiger Trend, sondern Ausdruck eines kulturellen Wandels. Wenn Kunst Wände ersetzt, entsteht ein Raum voller Identität, Inspiration und Sinn. Diese Form des Wohnens verlangt einen bewussten Umgang mit Gestaltung und Funktion – bietet aber etwas, das über Ästhetik hinausgeht: eine Seele für das Zuhause.

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