Spanien sieht sich erneut mit einer tiefgreifenden Wohnkrise konfrontiert. Die Mieten steigen rasant, bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware, und immer mehr Immobilien werden für kurzfristige touristische Vermietungen genutzt. In dieser angespannten Lage stehen die Behörden vor einer entscheidenden Frage: Soll der Staat leerstehende Wohnungen enteignen – oder gezielte Anreize setzen, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Steigende Mieten und sinkende Verfügbarkeit
Laut dem spanischen Statistikamt INE sind die Mieten in den vergangenen drei Jahren in Städten wie Madrid, Barcelona, Sevilla und Palma de Mallorca um mehr als 20 % gestiegen. In einigen Vierteln Barcelonas liegen die monatlichen Mieten inzwischen bei 1.300–1.500 €, was bis zu 60 % des Durchschnittseinkommens eines Haushalts ausmacht.
Auch der Kaufmarkt ist für viele kaum noch erschwinglich. Im Jahr 2025 liegen die durchschnittlichen Quadratmeterpreise in Madrid bei 4.400 €, in Barcelona sogar bei 4.700 €.
Ursachen der Krise
Mehrere Faktoren verschärfen die Situation:
- Zunahme von Ferienwohnungen, insbesondere über Plattformen wie Airbnb, wodurch langfristige Mietwohnungen vom Markt verschwinden.
- Rückstand beim sozialen Wohnungsbau: Der Plan der Regierung von 2023, 183.000 Sozialwohnungen zu bauen, kommt nur schleppend voran.
- Spekulative Käufe durch Investmentfonds, häufig aus dem Ausland, treiben die Preise in die Höhe.
- Fehlende Besteuerung leerstehender Immobilien: Schätzungen zufolge gibt es rund 3,8 Millionen leerstehende Wohnungen, davon etwa 1 Million in Städten.
Enteignung: ein riskantes politisches Mittel?
Regionen wie Katalonien, Valencia oder die Balearen haben Gesetze eingeführt oder vorgeschlagen, die es ermöglichen, länger leerstehende Wohnungen zu enteignen – insbesondere solche im Besitz von Banken oder Großinvestoren –, um sie dem sozialen Wohnungsmarkt zuzuführen.
So verabschiedete Katalonien 2024 ein Dekret, das Kommunen erlaubt, Wohnungen zu übernehmen, die seit über zwei Jahren leer stehen. Die Reaktion war heftig – von Immobilienbesitzern, Banken und internationalen Investoren.
Kommentar: „Wir sind nicht gegen den Markt. Aber wenn Tausende Familien kein Dach über dem Kopf haben, muss der Staat handeln“, sagt Joan Sanz von der Wohnungshilfe-Plattform PAH in Barcelona.
Kritiker sehen darin jedoch einen Angriff auf das Eigentumsrecht und eine Bedrohung für Investitionen.
Kommentar: „Enteignung schafft Unsicherheit. Der Weg sind positive Anreize, nicht Strafen“, meint Luis Morales, Manager eines Immobilienfonds in Madrid.
Anreize: marktwirtschaftlicher Ansatz
Andere Regionen wie Madrid oder Andalusien setzen hingegen auf steuerliche und wirtschaftliche Anreize, um mehr Wohnraum zu mobilisieren:
- Steuervergünstigungen für Vermieter mit fairen Mietpreisen
- Förderungen für Renovierungen leerstehender Wohnungen
- Bebauungserleichterungen bei gemischten Projekten mit Sozialwohnanteil
- Mietgarantien durch staatliche Programme
Im Jahr 2025 stellte das Ministerium für Verkehr, Mobilität und Stadtplanung 2,4 Milliarden Euro für diese Programme bereit.
Palma de Mallorca: ein kombiniertes Modell
Die Stadtverwaltung von Palma verfolgt eine zweigleisige Strategie: leerstehende Wohnungen werden besteuert, zugleich erhalten Eigentümer bis zu 15.000 € Förderung pro Einheit, wenn sie renovieren und anschließend zu maximal 9 €/m² vermieten.
Bereits über 900 Wohnungen wurden so innerhalb eines Jahres wieder dem Mietmarkt zugeführt.
Spanien am Scheideweg
Im Gegensatz zu Ländern wie Deutschland (Mietendeckel) oder den Niederlanden (massiver sozialer Wohnungsbau) befindet sich Spanien in einer Phase des politischen Abwägens.
Hinzu kommt: Die Bau- und Immobilienbranche macht etwa 10 % des spanischen BIP aus. Drastische Maßnahmen könnten wirtschaftliche Folgen haben.
Sicht der Eigentümer
Viele Kleininvestoren oder Erben scheuen die Vermietung leerstehender Wohnungen aus Angst vor Mietausfällen oder zu geringen Renditen.
Institutionelle Investoren hingegen passen sich zunehmend an die neuen Rahmenbedingungen an – teils in Kooperation mit Kommunen und garantierten Mietmodellen.
Rolle der EU
Die Europäische Kommission empfiehlt, dass mindestens 15 % des Wohnungsbestandes in öffentlicher oder gemeinnütziger Hand sein sollte. In Spanien liegt dieser Anteil derzeit bei nur 2,5–3 %.
Mit EU-Fördermitteln entstehen derzeit Pilotprojekte in Valencia, Saragossa oder Bilbao – mit Nettomieten von 450–550 € pro Monat.
Fazit
Spanien steht vor einer Grundsatzentscheidung: staatliche Eingriffe mit Enteignung oder marktwirtschaftliche Förderung durch Anreize?
Viele Experten sind sich einig: Eine Mischung aus beiden Ansätzen ist der wahrscheinlichste und nachhaltigste Weg – ergänzt durch Steuerreformen, gezielten Neubau und bessere öffentliche-private Partnerschaften.
Kommentar: „Es gibt keine einfache Lösung. Wir brauchen kluge, faire und langfristige Strategien“, sagt Ursula Mendoza, Stadtplanerin aus Valencia.
Die Wohnungskrise Spaniens ist nicht nur ein soziales, sondern auch ein politisches und wirtschaftliches Schlüsselthema – mit Auswirkungen weit über die Landesgrenzen hinaus.