Im Juni 2025 hat die Europäische Zentralbank (EZB) zum ersten Mal seit Jahren ihre Leitzinsen gesenkt. Ziel war es, die Kreditkosten zu senken, den Wohnungsmarkt anzukurbeln und den finanziellen Druck auf Haushalte zu verringern. Doch viele europäische Hausbesitzer zahlen weiterhin hohe oder sogar steigende Monatsraten. Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären?
📉 Die Entscheidung der EZB
Am 6. Juni 2025 senkte die EZB ihren Hauptrefinanzierungssatz von 4,00 % auf 3,75 %. Der Einlagensatz wurde auf 3,25 % gesenkt. Die Maßnahme wurde mit einem Rückgang der Inflation und einer Abschwächung der Konjunktur im Euroraum begründet.
In der Theorie sollten sinkende Leitzinsen auch zu sinkenden Hypothekenzinsen führen. In der Praxis profitieren jedoch viele Kreditnehmer bisher kaum – und das liegt an mehreren strukturellen Faktoren.
🧾 Bestehende Kredite bleiben teuer
1. Variabel verzinste Hypotheken
In Ländern wie Spanien, Portugal, Italien, Polen und vielen osteuropäischen Staaten sind variable Hypotheken weit verbreitet. Diese sind meist an den Euribor gekoppelt. Trotz der Leitzinssenkung liegt der 6‑Monats-Euribor im Juni 2025 noch bei rund 3,85 % – also weiterhin auf hohem Niveau.
Viele Kreditverträge werden nur halbjährlich oder jährlich angepasst, was bedeutet: Die Auswirkungen der EZB-Entscheidung werden sich für viele erst 2026 zeigen.
2. Feste Zinssätze auf hohem Niveau
In Ländern wie Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Österreich sind langfristige Festzinsen üblich. Viele Haushalte haben 2022–2023 Kredite mit Zinsen von 4–4,5 % abgeschlossen – auf Basis des damaligen Hochzinsumfelds. Diese Kreditverträge bleiben unverändert, unabhängig von der aktuellen Zinspolitik.
💸 Bankenpolitik und Kreditvergabe
1. Hohe Bankenmargen
Obwohl die EZB-Zinsen sinken, senken viele Banken ihre Hypothekenzinsen nur zögerlich. Sie halten ihre Margen hoch, um Gewinne zu sichern – besonders angesichts sinkender Renditen bei anderen Anlageformen. Für Neukreditnehmer bedeutet das: Hypotheken bleiben teuer.
2. Strengere Kreditvergabekriterien
Banken in Ländern wie Finnland, Ungarn und der Slowakei verlangen inzwischen höhere Eigenkapitalquoten – oft 30–40 %. Dadurch werden viele gezwungen, kürzere Laufzeiten mit höheren Monatsraten zu wählen – oder verzichten ganz auf den Immobilienkauf.
📈 Steigende Immobilienpreise neutralisieren Entlastung
Trotz hoher Zinsen in den Jahren 2022–2024 sind die Immobilienpreise in vielen europäischen Großstädten weiter gestiegen. Gründe dafür sind u.a. Baustopps, Genehmigungsengpässe, Materialmangel und Fachkräftemangel.
Selbst bei etwas niedrigeren Zinssätzen bleibt die Gesamtbelastung durch Eigentum hoch. Beispiel Paris:
- Durchschnittspreis einer Wohnung: 510.000 €
- Bei 20 % Eigenkapital und einem 25‑jährigen Kredit mit 3,9 % Zins: monatliche Rate ~2.150 €
- Bei 3,75 % Zins: Einsparung von nur ca. 30–40 €/Monat – kaum spürbar angesichts steigender Nebenkosten
🌍 Unterschiedliche Lage je nach Land
Land | Gängige Kreditform | Wirkung der EZB-Maßnahme |
---|---|---|
Deutschland | Feste Zinsen (10–20 Jahre) | Keine Veränderung |
Spanien | Variable Zinsen (Euribor) | Verzögerter Effekt |
Frankreich | Feste oder geförderte Zinsen | Geringer Effekt |
Italien | Mischformen | Unterschiedlich je Vertrag |
Polen | Variabel + Staatshilfe | Raten steigen, Subventionen enden |
Finnland | Variable Zinsen | Starke Erhöhung 2024, Stabilisierung 2025 |
🏠 Steigende Mieten als Schein-Alternative
Viele Haushalte weichen wegen der hohen Hypothekenkosten auf Mietwohnungen aus. Doch auch die Mietpreise steigen rapide:
- Dublin: +11 %
- Amsterdam: +9 %
- Mailand: +7 %
- Prag: +13 %
Das führt zu einem Teufelskreis: Kaufen ist teuer, Mieten aber auch – insbesondere für junge Haushalte.
📊 Ausblick und Prognosen
Laut Prognosen von ING und Erste Group:
- Die EZB dürfte die Zinsen bis Ende 2025 weiter senken – auf bis zu 3,25 %
- Die tatsächliche Entlastung für Verbraucher wird erst 2026 spürbar sein
- Besonders betroffen bleiben junge Familien und Ersterwerber
Einige EU-Länder diskutieren über neue Förderprogramme für Neubau, subventionierte Kredite oder Erleichterungen beim Eigenkapital – doch deren Umsetzung braucht Zeit.
🧾 Fazit
Die Zinssenkung der EZB ist ein wichtiges Signal – aber für Millionen europäischer Hausbesitzer bleibt die finanzielle Belastung unverändert. Verzögerte Transmission, feste Altverträge, hohe Margen der Banken und steigende Immobilienpreise verhindern eine spürbare Entlastung.
Was jetzt nötig wäre:
- Weitere konsequente Zinssenkungen
- Ausweitung des Wohnungsangebots durch schnellere Bauverfahren
- Flexiblere Kreditvergabe, insbesondere für Erstkäufer
Solange diese Faktoren nicht greifen, müssen viele Haushalte in Europa weiterhin hohe Monatsraten tragen – trotz aller geldpolitischen Lockerungen.